Survivalmagazin
Freitag, 27. Oktober 2017
Ciao, man sieht sich
Ich werde ein Buch mit genau diesem Titel schreiben. In diesem wird es um die letzten beiden Wochen gehen.
Kleiner Vorgriff: Man hat sich nicht gesehen.

Auf dem Campus, in der Mensa, vor dem Hörsaal, vor dem Seminarraum, auf der Straße, auf all diesen Wegen, die wir zusammen gingen...
Mir war schnell klar, dass ich verrückt werden würde, wenn ich ständig nach ihm Ausschau halt. Dennoch konnte ich es nicht vermeiden. Ich versuchte es. Wenn ich den Campus voll mit Menschen sah, ging ich schnell in die nächste Tür, um nicht zu lange zu starren. die Verlockung ist groß, unter hunderten Menschen genau diesen einen zu finden. Aber man wird wahnsinnig dabei.
Immer wenn ich Schritte hinter mir hörte oder mir Personen entgegenkamen rechnete ich damit ihn zu sehen. Wie viel Zeit habe ich jetzt zum reden? Wie reagiere ich? Was mache ich, wenn er mich ansieht und ich kein Wort aus meinem Mund bekommen? Ich hoffe er ist es nicht!
Verdammt, er ist es wirklich nicht.

Oft ging ich extra einen Umweg, ging in die Mensa in der er oft war/ist. Ich habe dort versucht, nicht groß Ausschau zu halten, aber die Hoffnung auf das Schicksal gesetzt, die Hoffnung ihm zufällig zu begegnen.

Und ja, ich gebe es zu: Ich kennen den größten Teil seines Stundenplans. Ich weiß, wann er wo Veranstaltungen hat, ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist ihn um diese oder jene Uhrzeit da oder dort anzutreffen. Aber mehr als kurz an diesem Orten vorbeizulaufen, vielleicht oft eine winzige Zeitspanne, bevor oder nachdem er auch dort langläuft, ohne mich dort lange aufzuhalten, tat ich auch nicht.

Es gab Tage da rechnete ich förmlich damit ihm zu begegnen. Tage an denen ich rote Punkte im Gesicht und wirre Haare hatte. An dem mir beim Essen eine Nudel auf die Hose fiel und ich die ganze Zeit mit dem fleck herumlief.

Es gab Tage, da hoffte ich ihm zu begegnen. Tage an denen ich mir einbildete gut auszusehen, meine Klamotten zusammenpassten und ich auch emotional gut drauf war.

Aber ich sah ihn kein einziges Mal.

Und dann, heute, bin ich heimgefahren. Die letzten beiden Wochen waren einfach nicht gut. Mir tat immer etwas anderes am Körper weh, die Laune war im Abfluss und ich hatte Halsschmerzen.
Als ich an der Bushaltestelle saß, fing es an zu regnen. Rechts dunkle Regenwolken, links Regentropfen im Sonnenlicht.
Kein Christoph.
Ich stieg in den Bus, der noch einmal am Campus vorbeifuhr. Ich schaute erst links, dann fiel mir ein, dass wir immer rechts gelaufen waren, also schaute ich auf die rechte Seite des Weges.
Draußen liefen bereits Leute mit Regenschirmen, da fiel mir ein, dass Christoph beim letzten Mal einen in der Tasche hatte, er also auch mit aufgespanntem Schirm durch die Gegend laufen musste. Also auf Leute mit Schirmen achten.
Moment.
Da lief jemand, der ihm sehr ähnlich sah. Mütze, Kapuze. Ein Schild versperrte mir die Sicht. Der Bus fuhr ein wenig um die Kurve. Ich konnte für eine Sekunde wieder sehen.
Es war Christoph und er ging über die Straße. Er hatte die Kapute auf und sah eher nach unten als nach vorne. Ein ernster Blick. Seinen Schirm hatte er auch dabei, der Griff ragte aus der Tasche, aber er war nicht aufgespannt.
Der Bus fuhr langsam weiter.
Jetzt die Ansicht von hinten.
Eindeutig war das Christoph, die Art zu gehen, der Rucksack, die Jacke.
Und dann fuhr ich weiter und Christoph ging wohl weiter den Weg entlang und ich stieg in den Zug nach Hause und keiner schreibt dem anderen eine Nachricht.

Es geht mir wohl besser, seit ich weiß, dass es ihm gut genug (zumindest gut genug, um aus dem Haus zu gehen). Er ist noch hier. Er geht jeden Tag an die Uni. Es ist nichts verloren.

Ich habe ihm ein Gedicht mit 33 Strophen geschrieben. Er fand es gut. Ich habe ihm noch einmal geantwortet und dann hat er nicht mehr geschrieben. Ich bin unfassbar dumm und habe wohl so weit übers Ziel hinausgeschossen, dass ich den Ball nie wieder finden werde.

Am heimatlichen Bahnhof traf ich zufällig eine alte Freundin deren Mutter mich mit nach Hause nahm.
Als ich aus dem Auto stieg umarmten wir uns.
"Ciao" sagte ich
"Man sieht sich" sagte sie.

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